Einsam ≠ allein

„Einsam“ und „allein“ werden im Sprachgebrauch oft ähnlich verwendet und auch die Definition laut Duden legt nahe, dass es sich um Synonyme handelt. In meinem Verständnis hat sich über die vergangenen Jahre aber eine durchaus unterschiedliche Bedeutung ergeben.

„Einsam“ beschreibt aus meiner Sicht, einen Zustand der mit einem negativen Gefühl einher geht, sowie dem Bedürfnis, diesen zu ändern. Er ist für mich mit dem Empfinden von Schwere, verlassen oder unvollständig sein, verbunden. Einsam sein hat dabei für mich nicht nur etwas mit dem fehlenden physischen Kontakt zur Umwelt zu tun. Wie oft habe ich mich schon in Gesellschaft von Menschen einsam gefühlt. Einsam im Sinne von unverstanden, unverbunden, fehl am Platz, falsch.

In den vergangenen Jahren habe ich hingegen Stück für Stück die Qualität von „allein“ sein erkannt und entdecke das Geschenk dahinter immer mehr.

Allein sein ist für mich ein bewusst gewählter Zustand.

Eine Entscheidung, mir Zeit einzuräumen, um mit mir zu sein. Ohne Gesellschaft oder Ablenkung. Mich bewusst meinem inneren Kosmos zuzuwenden. Die Fragen anzuschauen, die sich einfach nicht wegdrücken lassen, hinter die mehr oder minder aufgeräumte Fassade zu blicken, Gedankenmuster zu hinterfragen. Zu reflektieren wann ich, gemessen an der Vorstellung von meiner besten Version, gut gehandelt habe und in welchen Situationen ich immer wieder struggele. Allein Zeit mir zu verbringen, ist die einzige Zeit, solche Selbstgespräche zu führen. Es ist für mich eine notwendige Hygienemaßnahme, um klar zu bleiben wer ich bin, was ich loslassen oder intensivieren möchte.

Allein sein ist inzwischen aber auch ein Tool, um mich zu challengen. Die Grenzen meiner Komfortzone zu testen. Mich bewusst allein in Situationen zu begeben, die mich vermeintlich unwohl fühlen lassen. Ich war vor kurzem erstmals allein auf einem Konzert. Nach den ersten unbequemen zehn Minuten, habe ich mich aber dafür entschieden, die Muster in meinem Kopf einfach Muster sein zu lassen und habe diese zwei Stunden so unfassbar genossen. Als Teil eines Publikums, aber dennoch allein für mich, habe ich die Musik und Energie so intensiv aufgenommen, wie ich es in Begleitung vermutlich nicht getan hätte. Ich habe getanzt, gesungen, gelacht, gehüpft (jap), gefühlt und hatte sogar eine Träne im Knopfloch – was für ein Geschenk!

Mich von Konventionen, Verhaltens- oder Gedankenmustern frei zu machen und für mein individuelles Setting neu zu definieren, schenkt mir eine unfassbare Leichtigkeit und die Erkenntnis, dass ich meinen Rahmen individuell formen darf – und muss, um glücklich zu sein.

In meinem Mikrokosmos ist es inzwischen absolut normal, dass ich regelmäßig wähle, allein zu sein. War es für mein Umfeld eigentlich gar keine große Sache, als ich das zum ersten Mal äußerte, war es für MICH aber ein Riesending. Eben weil „allein sein“ in meiner Prägung negativ konnotiert war. Ich hatte zum einen Angst davor, dass mein Umfeld das kritisch beäugt oder sich sorgt, ob alles ok mit mir ist. Zum anderen hatte ich einfach Angst davor, allein zu sein. Angst was das mit mir macht. Ob ich mich einsam fühlen werde.

Inzwischen ist „allein sein“ für mich ein wichtiger Baustein, für meine Gesundheit in jeder Hinsicht und damit auch ein Teil des Fundamentes, um für andere ein wertvoller Partner oder Anker zu sein. Zudem entspringen daraus immer wieder kreative Prozesse, die mich antreiben und neue Wege aufzeigen. Wenn der ganze Lärm und die Ablenkung einmal wegfällt, bleibt Raum zum Fokussieren, zum Erfassen und Fühlen.

Ich kann dennoch gut nachempfinden, warum viele Menschen mit der Vorstellung hadern, allein mit ihren Gedanken und auch physisch mit ihrem Körper zu sein. Es erfordert zum einen den Mut, mit sich ins Gespräch zu gehen. Hinzuhören. Auszuhalten. Ablenkung zu Widerstehen. Zum anderen erfordert es eine Gedankenschleife im Kopf, dass Menschen die alleine im Café sitzen, ein Konzert besuchen oder auch alleine reisen, nicht zwingend EINSAM und unglücklich sind. Diese Bewertung in meinem Kopf loszulassen, war extrem hilfreich und ein Schlüssel, um ALLEIN sein als Geschenk zu entdecken.